Hebung der Landwirtschaft
Bis zur Jahrhundertwende fehlte es dem Moorboden an ausreichendem Dünger, der bis dahin nur durch Viehhaltung beschafft werden konnte. Der Viehbestand war infolge der spärlich vorhandenen Futterflächen gering. Die Ausnutzung des Moores durch Brennen gab nur unsichere Ernten.
Erst durch die in den Anfangsjahren unseres Jahrhunderts erfolgte Kunstdüngereinführung und ‑verwendung nahm die landwirtschaftliche Nutzung des frü
er mißachteten Moorbodens einen gewaltigen Aufschwung. Die Einführungünstlicher Düngemittel in Hymendorf ist ein Verdienst des Lehrers Dankers, der an einem Moorkulturlehrgang in Bremen teilnahm und dort mit Professor Dr. Tacke, dem Leiter der Bremer Moorversuchsstation, bekannt wurde.
Die ersten Versuchsfelder mit künstlichen Düngemitteln wurden in Hymendorf auf Anregung von Dankers mit Unterstützung der Landwirtschaftskammer Hannover und des Landwirtschaftlichen Hauptvereins Stade unter der Leitung von Professor Dr. Tacke aus Bremen im Jahre 1901 angelegt, 1902 fortgeführt und 1903 abgeschlossen. Sie erfolgten auf Acker, Wiesen und Weiden der Anbauer Brüning (Nr. 33), Rodenburg, Zehe, Oetting und Witthohn. Großartige Erfolge wurden erzielt. Enorm steigerten sich die Erträge der Acker- und Grünlandflächen. Die Moorsiedler begannen mit großzügigen Kultivierungsarbeiten. Infolge zunehmender Vergrößerung der landwirtschaftlichen Nutzflächen, besonders Grünlandzuwachses und der intensiveren Wirtschaftsform, nahmen Rindviehhaliung und Schweinebestand einen starken Aufschwung. Mehr und besseres Vieh konnte gehalten werden. Die Milchleistungen stiegen. Die Kolonisten wurden in die Lage versetzt, ihre Äcker und Weiden noch besser zu düngen. Erwähnt sei auch die Gründung eines örtlichen Milchviehversicherungsvereins auf Gegenseitigkeit, der jedoch vor etwa 15 Jahren aufgelöst wurde.
Die Kunstdüngeranwendung, die dem nährstoff armen Hochmoor die für die Kultur unentbehrlichen Nährstoffe an Kalk, Kali, Phosphorsäure und Stickstoff zuführte, ermöglichte den Anbau anspruchsvollerer und ertragreicherer Fruchtsorten. Hinzu kam die Einführung besserer Geräte für die Urbarmachung und Bearbeitung des Bodens. Kleine Gräben wurden teilweise durch Dränage ersetzt. Zur sachgemäßen Pflege des Hochmoorgrünlandes gehört auch das Walzen. Hierbei leistet die schwere Wiesenwalze, welche die Gemeinde 1929 als Jubiläumsgabe erhielt, wertvolle Dienste. Mit der Torfgräberei verband sich der Landwirtschaftsbetrieb, der allmählich zur stärksten Stütze wurde, zumal die Torfnachfrage ständig zurückging. Die Grünlandbewirtschaftung und Viehwirtschaft traten von Jahr zu Jahr zunehmend in den Vordergrund, während zur gleichen Zeit die Ackerflächen auf Moor abnahmen. Großen Schaden richten die in manchen Jahren in Massen auftretenden Larven der Wiesenschnaken an. Die Bekämpfung ist mühevoll und kostspielig. Natürliche Feinde sind die Stare. Der im Jahre 1900 gegründeten Leher Molkerei trat die Ortschaft ziemlich geschlossen im Jahre 1901 bei. Als 1936 die Molkerei Lehe der in Geesteinünde gelegenen Wesermünder Molkerei angegliedert wurde, schlossen sich die Hymendorfer der näher gelegenen Molkerei Dorum im Lande Wursten an.
Von besonderer Wichtigkeit war der im Jahre 1910 gefaßte Beschluß des Fiskus, das fiskalische Moor, das die Behörde bis dahin immer nur an Hymendorfer verpachtet hatte, an die Einwohner zur Anlage neuer Stellen zu verkaufen. Das bedeutete eine erhebliche Vergrößerung der Gemeinde und zugleich Hebung ihrer Steuerkraft. Dieser Beschluß ist besonders Pastor Rüther zu verdanken, der sich sehr für die Hymendorfer einsetzte. Es handelte sich um die letzten 400 am östlieben Dorfausgang belegenen Morgen, die als Anbaustellen von je 40 Morgen verkauft wurden (Preis pro Morgen 62,50 Mark). Auf folgenden sechs Stellen erfolgten sofort Neubauten:
Stelle 16: Diedr. Rüschmann, Hymendorf 29 (30 Morgen)
Stelle 18: Georg Hollmann, Grasdorf
Stelle 49: Diedrich Ropers, Hymendorf
Stelle 56: Justus Rodenburg, Hymendorf 13
Stelle 52: Martin Witthohn, Hymendorf 1
Stelle 57: Daniel Redelmann, Hymendorf 2
Die Abfuhr der benötigten Kunstdüngermengen erfolgte Jahrzehntelang vom Bahnhof Debstedt.
Von 1919 bis 1923 erlebten wir die unheilvolle Zeit der Geldentwertung (Inflation), in der man mit den Wurstern regen Tauschhandel tätigte. Für ein sog. Wurster Fuder Torf (60 bis 70 Hektoliter), dessen Vorkriegswert 12 bis 15 Mark betrug, erhielt man 150 bis 200 Pfund Weizen, Feldbohnen oder Gerste oder 10 Pfund Wolle oder 6 Pfund Gänsefedern. Nach der Währungsreform am 20. November 1923 und dem Umtausch des Geldes (eine Billion Reichsmark = 1 Rentenmark) hörte der Tauschhandel schlagartig auf.
Auf Anregung des Direktors Tischbein von der Landwirtschaftsschule in Dorum wurden 1925 verschiedene Düngungsversuche angestellt. Von besonderem Interesse waren Kartoffelsortenanbauversuche, die den Ertrag sowie den Geschmack der einzelnen Sorten erweisen sollten. Um genaue Ergebnisse festzustellen, wiederholte man 1927 die Versuche. jedoch waren die Ergebnisse geringer, was man auf den regnerischen Sommer zurückführte.
Nikolaus Bentz wurde vom Ldw. Kreisverein bei der Felderprämlierung ein 2. Preis (Diplom und Geldpreis) für hervorragende Leistungen im Ackerbau zuerkannt.
Die Viehzucht erfuhr eine bedeutsame Förderung durch die vom Landw. Hauptverein Stade veranstalteten Moorviehschauen, die in Hymendorf in den Jahren 1910, 1919, 1924 und 1929 durchgeführt wurden, ferner durch die gebotene Gelegenheit, sich dem Milchkontrollverein Neuenwalde anzuschließen, dem im Januar 1929 die Landwirte Hinrich Hanschen, Hinrich Lütiens und Hinrich Ropers beitraten.
Eine weitere rege Tätigkeit zur Hebung landwirtschaftlicher Belange entfaltete der im Anschluß an die letzte Moorviehschau am 28. Sept. 1929 gegründete Ldw. Verein Hymendorf. Dem Vorstand gehörten Hermann Runne (1. Vors.), Claus Rosenbrock (2. Vors.), Lehrer Hans Hitzwebel (Schrift- und Rechnungsführer) sowie Hinrich Hanschen sen., Fritz Bollhorst und Hinrich Lütiens als Beisitzer an. Namhafte Referenten hielten in den Jahren 1929 bis 1933 lehrreiche Vorträge. Große Unterstützung fand der Verein durch Tischbein aus Dorum. Leider mußte der politisch völlig neutrale Verein bald nach dem politischen Umbruch des Jahres 1933 aufgelöst werden. Die letzte Vereinsversammlung fand am 30. Januar 1933 statt.
In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg wandte man sich intensiv der Kultivierung benachbart liegender Geestländerelen zu: der Debstedter, Sieverner und Misselwardener Heide. Diese vor dem Westeingang des Dorfes liegenden Heideflächen wurden von den Hymendorfern teils gekauft, teils gepachtet. Auch im jetzigen Ortsteil Fahlenbruch erfolgten Neukulturen. Die Heideflächen verschwanden mit großer Schnelligkeit und verwandelten sich in landwirtschaftliche Kulturflächen. Die Moorböden »opp’n Plootz« wurden zunehmend als Grünland, die Geestländereien »opp’n Sand« als Ackerböden genutzt.
Pastor Rüther, der 1911 von Neuenwalde/Hymendorf fortging, erzählte 1929 auf der 1 00-Jahrfeler, er hätte das Land kaum wiedererkennen können, so sehr hätte es sich seit seinem Fortgang verändert. Wo damals nichts als Heide stand, sehe man jetzt ein Kornfeld neben dem andern.
Die ständig zunehmende Umstellung vom Torfbetrieb auf Landwirtschaft machte im Laufe der Jahre bauliche Veränderungen und Vergrößerungen notwendig. Hinzu kam die Elektrifizierung. Am 14. August 1921 wurde in einer Gemeinde versammlung den Einwohnern empfohlen, sich dem Elektrizitätsverband Nord-Hannover anzuschließen. Fast einstimmig stimmte man zu. Im Februar 1922 begann man mit der Herrichtung der Hausanschlüsse. Im folgenden Winter wurde das Ortsnetz gebaut und Ende März 1923 die Hochspannungsleitung für Licht- und Kraftstrom fertiggestellt. Am 7. April 1923 brannte in Hymendorf erstmalig elektrisches Licht. Nun wurde die Beleuchtung der Wohnräume und Stallungen besser und die Gefahr von Unfällen verringert. Der Siegeszug der Technik begann. Elektromotore und landwirtschaftliche Maschinen wurden angeschafft. Von vielen bisherigen Geräten, u. a. dem Dreschbock und dem Göpel, trennte man sich.
Die Rauchhäuser und die Fiefpantenöfen verschwanden und machten Gebäuden, die den gesundheitlichen Bestrebungen unserer Zeit Rechnung tragen, Platz. In den Häusern errichtete man zwischen Diele und Flett eine Trennwand, wodurch Staub und Geruch der Diele und den Stallungen von der Küche und den Wohnräumen ferngehalten werden. Wurde das Haus zu klein, erstellte man zusätzliche Nebengebäude oder baute ein oder mehrere »Fach« an, wobei die Giebel- oder die Hinterwand vor- bzw. zurückgesetzt wurde. So wandelte Hymendorf allmählich das Gesicht. Im Frühjahr 1930 gab es hier noch 13 Häuser mit Butzen, heute keine mehr. Die Behörde zahlte damals für jede beseitigte Butze 50 Mark als Beihilfe. An die Stelle der Butzen traten helle und luftige Schlafzimmer.