Über den Ortsnamen Hymendorf
Zweifellos verdankt die am 18. Juni 1829 gegründete Moorkolonie des ehemaligen Amtes Bederkesa ihren Namen Hymendorf dein zwischen Debstedt, Neuenwalde und Drangstedt gelegenen Hymenmoor und dem damals im Südwesten dieses Moores noch vorhandenen Hymensee. Wichtige Fingerzeige über die Namendeutung vermag die wechselvolle Schreibweise dieses Hochmoorsees zu geben. Auf vielen Karten unserer Gegend war der See ohne Namen eingezeichnet. Noch 1808, als unsere Heimat dem napoleonischen Kaiserreiche angehörte, findet man den Hemen See auf alten Karten. Die topographische Landesaufnahme des Kurfürstentums Hannover aus den Jahren 1764‑1786 weist nach dem Blatt Dorum vom Jahre 1768 den Hiemensee aus. Die im Reilly‑Atlas (Kupferstich von Ignaz Albrecht, 1791) unter der Nr. 295 aufgeführte Karte des Herzogthums Bremen, und zwar die nördlichen Ämter mit dem Lande Hadeln, zeigt denHimerSee, und auf den Karten der Landdrostel (Regierungsbezirk) Stade nach 1827 und um 1850 sowie in dem von A. Papen im Jahre 1847 herausgegebenen topographischen Atlas des Königreiches Hannover, ist der Hymen See eingezeichnet. Auch in der vom Kartographen Wilhelm Dilich (Dilichlus) im Jahre 1603 angefertigten Karte des Amtes Bederkesa ist der Hymensee zu finden.
Moorseen spielten früher eine große Rolle bei der Festlegung von Flurgrenzen. Im Lagerbuch des Klosters Neuenwalde vom Jahre 1778 werden die Grenzen des Klosteramts beschrieben. Danach steht an der Südgrenze in Richtung Debstedt ein Scheidungspfahl an dem Heben‑See. Im genannten Lagerbuch heißt es über das jagdrevier: »Die Commune Jagdt aber gehet von Neuenwalde bis ans Flögeler Feldt, von da nach dem Fohlenbruch, weiter nach dem Hebensee, von da nach dem Beck unteren Sieverner Felde, von da nach Sassadingen, nach Holszel, Cransburg, bis an den grauen Wall bei Midlum weg nach Wanhöden, von da ins Hadeler Mohr bis an dem darin befindlichen Beck, und weiter nach den Krempeler Beck durch das Mohr nach die im Dalmer See schieszende Ahlen Rolle. « (Mit letzterer ist die Ahlenrönne gemeint, die nach einer Karte von 1764 von den fünf Seen durchs Hohe Moor zum Dahlemer See floß und die ihr Wasser heute durch die angelegten Gräben ins neue Kulturland führt.)
Pratie beschreibt 1769 den im Herzogtum Bremen ausgeübten Falkenfang, wonach alljährlich ein holländischer Falkenfänger seine Hütte in der Gegend des Hiemen Sees , »ohnfern Debstedter“, aufschlägt, um am See den Falkenfang auszuüben.
In einer am 27. April 1602 zu Neuenwalde ausgestellten Urkunde wird ein Vergleich zwischen dem Rat der Stadt Bremen und den sechs Kirchspielen des südlichen Landes Wursten (Imsum, Wremen, Misselwarden, Mulsum, Padingbüttel, Dorum) geschlossen. In diesem Vergleich wurden die langjährigen Streitigkeiten um das umstrittene Gewohnheitsrecht der Wurster, sich aus den Heide‑ und Moorgebieten der Bederkesaer Geest zu holen, was sie in der holz‑ und feuerungsarmen Marsch benötigten, nämlich Torf, Heide, Busch und Heidplaggen, beigelegt. Das den Wurstern nunmehr zugestandene, bis an den Hymensehe reichende und durch Malzeichen und Steine begrenzte Nutzungsgebiet berührte auch einen Teil des Klosteramts Neuenwalde.
Das Hehmensees-Moor wurde von 1800 bis 1802 von dem Geometer Bonsack vermessen und kartiert. Landes-Oeconomie Commissair Witte aus Bremervörde stellte 1826 für das gesamte Moor einen Kultur-Plan und 1827 einen entsprechen
den Kostenanschlag auf. In Stade befindet sich unter der Findnummer 42 h/
Hymendorf 1 pm eine Karte, die den »Kultur-Entwurf vom Hymen Moore« vorzüglich darstellt. Diese im September 1829 von Theo Zeidler gezeichnete Karte vermittelt ein anschauliches Bild über die projektierte Anlage und genaue Größe des neuen Dorfes. Auch weist die von N. Witte gegengezeichnete Karte sämtliche Flurnamen der das Hymenmoor umgebenden Ländereien, Holzungen und Seen auf, u.a. das Debstedter, Misselwardener, Neuenwalder, Flögeler, Fickmühlener und Drangstedter Moor, ferner die Heide bey der Rosenburg, die Misselwardener Heide, die Peter Hüsens Heide, das Knüppel Holz, den Hehmen See, den Hahlen See und den Selber See.
Im Bremischen Amtsbuch vom Jahre 1601 werden auf Seite 218 die Grenzen der Gemarkung Debstedt beschrieben. Dort heißt es u.a. »Die Debbestetter Sehedinge gehen ahn . . . im Norden nach dem Heimensehe«. Auch ist die Rede vom Hemensehes Moor und vom Himenn Sehe.
Die Schreibform Hemensee darf als eine der ältesten Schreibweisen anzusehen sein. Daß der Hemensee mit den verschollenen Einzelsiedlungen Hemme und Klein Hem in Zusammenhang zu bringen ist, gewinnt immer mehr Zustimmung. Es ist durchaus möglich, daß der Name Hymensee aus Hemme oder Hem entstanden ist. Diese Siedlungen werden in einer Urkunde des 14. Jahrhunderts erwähnt, wonach die Herren von Bederkesa ein Haus in Hemme und eins in Klein Hem ans Kloster Neuenwalde veräußerten. Nach einer am 20. Juli 1308 in Elmlohe aufgenommenen Urkunde von Neuenwalde verkauft Knappe Werner von Bederkesa für 34 Mark an Gebhard, den Sohn des Propstes, ein Haus in Hustedt und den dritten Teil in Hemme und Klein Hem. Vermutlich lagen diese Einzelsiedlungen in der Nähe des Hemensees, waren doch mit der nahen Nordsee sowie vorhandenen Waldungen und Grünlandflächen die Lebensbedingungen der !Siedler gegeben. Auch war der Waldreichtum unserer Gegend damals größer als heute, was die Karte Dilichs deutlich zeigt. Es war bislang noch nicht möglich, diese Wüstungen genau zu lokalisieren.
Hymendorf müßte also nicht nach Hymen, dem griechischen Gott der Hochzeiten und der Ehe, benannt werden, sondern Hemendorf ( Wiesendorf) heißen, da der sicherlich uralte und im niederdeutschen Raum sehr verbreitete Ausdruck Hem oder Heem bzw. Ham oder Hamm ohne Zweifel Wiese oder Weide bedeutet. Für dessen Richtigkeit spricht auch die Tatsache, daß die Ortschaft in unserer plattdeutschen Sprache von vielen Eingesessenen alter Nachbargemeinden als »Hemendörp« benannt wird. Auch im Lande Wursten spricht man noch heute nur von »Heerndorp«. Vermutlich schrieben Kartographen statt Hemensee irrtümlich Hiemensee oder Hymensee. Diesem Schreibfehler zufolge erhielt das Moor am genannten See die Bezeichnung Hymenmoor und die 1829 gegründete Moorkolonie den Namen Hymendorf.
Irrig ist auch die Deutung Hymen = Immen. Auf keinen Fall ist Hymendorfs Ortsname von den Immen oder Bienen abzuleiten.
Schon bald nach ihrer Gründung erhielt die neue Kolonie einen amtlichen Namen. Amtmann Meyer, Bederkesa, unterbreitete für die Namengebung dem Stader Landdrosten (Regierungspräsidenten) in einem Schriftstück vom 11. August 1829 folgende Vorschläge:
»Demnächst wird auch einmal der Kolonie ein Name gegeben werden müssen. Zum Andenken an den bald verschwindenden Hymensee und die ältere Benennung der ganzen Gegend könnte man ihr den Namen Hymendorf geben, in Beziehung auf den letzten Impuls zur Anlage, den Leher Hafen*), etwa Havendorff, Lehdorff oder eine nähere Beziehung auf die Anlage der Kolonie, als Moordorff, Moorhausen. Die kürzesten Namen scheinen dabei immer den Vorzug zu verdienen. Wir enthalten uns jedoch der eigentlichen Vorschläge und bitten um gelegentliche Bestimmung darüber.«
Ober die gemachten fünf Vorschläge wurde in Stade schnell entschieden. Mit dem Datum vom 20. August 1829 erhielt die junge Gemeinde den amtlichen Namen Hymendorf. Das betreffende Schriftstück lautet:
Dem Königl. Amt Bederkesa
Wir haben der neuen Colonie den Namen Hymendorf beigelegt, welcher daher für selbige künftig zu gebrauchen ist.
Stade, den 20. Aug. 1829.
Königliche Landdrostey
E. Marschalck
(Der Hannoversche Landdrost Geh. Rat Engelbert Johann Marschalck wurde am 6. Mal 1766geboren, wurde 1809 Präsident der Bremer Ritterschaft, war von 1823 bis 1841 Landdrost in Stade und ist am 25. August 1845 in Laumühlen verstorben.)
~,) Gemeint ist das fast gleichalterige Bremerhaven, 1827 gegründet.