Alte Sitten und Gebräuche
In unserer Zeit, in der sich die Ereignisse überstürzen, in der ein Rekord oft innerhalb weniger Tage von einem andern überboten wird, werden alte Sitten und Gebräuche durch die Hast der Zeit in den Hintergrund gedrängt. Im nachfolgenden sind nur solche geschildert, wie sie sich in Hymendorf zum Teil erhalten haben.
Hochzeitsbräuche
Die Hochzeit gilt seit alters her als das Hauptfest im Menschenleben. In Hymendorf feierte man die bäuerlichen Hochzeiten meistens am Freitag im Hause des Bräutigams. Mehrere Tage zuvor suchte der Hochzeitsbitter die einzuladenden Familien auf und überbrachte die Einladung zur frohen Feier. Das besondere Kennzeichen des Inbitters war seine mit bunten Bändern geschmückte Mütze und der ebenso verzierte Handstock. In jedem Haus trug der Hochzeitsbitter seinen althergebrachten Inbittervers vor:
Hier komm ich zu Euch hergeschritten,
hätt‘ ich ein Pferd, käm‘ ich geritten.
Doch hab‘ ich mein Pferd im Stalle steh’n,
darum muß ich zu Fuße geh’n.
Ich bin ausgesandt von Bräutigam und Braut,
die lassen Euch bitten durch mich ganz laut.
Wenn Ihr meine Bitte wollt recht versteh’n,
so müßt Ihr Freitag zur Hochzeit geh’n.
Hier haben mich hergesandt
der Bräutigam und die Braut . . .
Nun sollt Ihr auch hören, was sie zum besten haben:
Der Koch, den sie haben, der hat gut geschlacht‘
zwanzig Ochsen, zwanzig Schweine.
Zwanzig Anker Bier, zwanzig Anker Branntewein,
zwanzig Anker Rheinschen Wein
und zwanzig Anker, die da sein,
das soll Euch alles zu Dienste sein.
Zwei Männer haben wir ausgesandt,
den einen zu Wasser, den andern zu Land:
den Jäger auf die See
und den Fischer hoch oben auf die Bergeshöh‘.
Was die beiden nicht können schießen und fangen,
das lassen wir aus der Stadt Bremen uns langen.
Auch sollt Ihr haben gute Schaffen, gute Schenke,
gute Tische, gute Bänke
und einen guten Platz zum Tanzen.
Die Musikanten werden unverdrossen sein,
ihre Pfeifen und Violinen werden stimmen überein,
auf daß sie alle recht lustig sein.
Und wer nicht braucht für Geld zu sorgen,
kann tanzen bis an den hellen Morgen.
Nun hab‘ ich noch eine Bitte an die Junggesellen,
daß sie ihre Stiefel gut schmieren,
ihre Pistolen gut schüren
und schießen, daß es plfft, pafft,
daß den jungen Mädchen das Herz im Leibe lacht.
Auch hab‘ ich eine Bitte an die Jungen Mädchen,
daß sie ihre Hüllen vergüllen,
ihre Schuhe blank, ihre Bindlein lang,
ihren Busen rund, ihre Schürzen bunt,
ihre Haare glatt, doch nicht allzuschön,
daß der Bräutigam mit seinem Feinsliebchen
noch etwas voraus hat.
Hier wird gebeten Herr und Frau,
Sohn und Tochter, Knecht und Magd,
groß und klein, so wie sie sein, keiner soll vergessen sein. Nun müßt Ihr von der Güte sein und Euch stellen frühzeitig ein, daß es dem Boten seine Schuld nicht mag sein. jeder mutt sick Mess‘, Gobel und Löpel mitbringen und den Mund nicht vergeten, dormit he ok wat eten kann.
In manchen Häusern wurde dem Inbitter nach der Einladung ein »Schluck« spendiert und ein neues Band an die Mütze gesteckt. Das Inbitteramt übte jahrzehntelang Wilhelm Thoden, Nr. 43, aus, nach seinem Tode der erste Nachbar des Hochzeitshauses. Noch heute wird das Sprüchlein, wenn auch sehr gekürzt, vereinzelt zur Einladung vorgetragen.
Dem Hochzeitstage vorauf geht der Poltertag. junge Burschen errichten (noch heute) vor der Hochzeitsbrücke eine Ehrenpforte. junge Mädchen banden Kränze und schmückten den Brautwagen mit Tannengrün, in das man bunte Papierrosen steckte. Männer holten mit einem Gespann alles Notwendige aus dem Dorfe: Dielen, Tische, Stühle, große Kochtöpfe und Ketten für das Aufbauen der Küche im Freien. Andere machten beim Hochzeitshause alles in Ordnung. Sie brachten Holz und Torf zur Kochstelle und bereiteten die Hausdiele, sofern kein Tanzzelt aufgestellt wurde, für die Feier vor. Der Stall wurde auf einer Seite gesäubert, weil die Musiker in ihm Platz nehmen mußten. Abends wurden für die Hochzeitssuppe Hühner geschlachtet und gerupft. Jede geladene Familie brachte rechtzeitig ein Huhn, außerdem Butter, Eier und Milch zum Backen. Weitere Poltertagsarbeiten waren das Schlachten eines Rindes und das Backen von Kuchen und Brot. Mit großem Hallo wurden die Aussteuerwagen angefahren und abgeladen. Nachbarfrauen schmückten die Brautbetten. Abends wurde »gepoltert«. Gegen 22 Uhr war der lustige und vergnügliche Polterabend beendet.
Am andern Morgen kamen die nächsten Nachbarn, um mit der Köchin die Hühnersuppe zu bereiten. War der Zeitpunkt der Eheschließung herangerückt, nahnien Braut, Bräutigam und Trauzeugen auf dem geschmückten Wagen (neuerdings im Auto) Platz. In schneller Fahrt ging es nach Neuenwalde (seit 1974 nach Langen) zum Standesamt und der Kirche. In der Neuzeit findet die Trauung oft in der Hyniendorfer Kapelle statt. Unterwegs knallten Schüsse und versperrten von Kindern straff gezogene Taue den Weg, der erst nach Abwerfen kleiner Gaben freigegeben wurde. Als durch Hymendorf noch keine Straße führte, mußten die Fahrgäste des schlechten Dammes wegen oft zu Fuß durch die Ortschaft gehen. Erst beim Friedhof konnte der Wagen bestiegen werden.
jung und alt hatte sich inzwischen beim Hochzeitshause eingestellt. Traf der Brautwagen ein, stimmten junge Mädchen ein Freudengelauchze an und Musikanten bliesen frohe Weisen. Fand die Trauung in der Kapelle statt, ging es nach der feierlichen Handlung unter Vorantritt der Musiker in einem langen Zug nach dem Hochzeitshaus. Auf der Diele oder im Zelt wurden an langen Tischreihen die Plätze eingenommen. Männer trugen das Nationalgericht, schmackhafte Hühnersuppe mit Rindfleisch und Rosinenklößen, auf. Quer vor den Tischreihen saßen
am Brauttisch das Brautpaar, die beiderseitigen Eltern, jüngere Geschwister, Brautjungfern und die Trauzeugen. Waren alle Suppenterrinen aufgetragen, wurde ein Tischgebet gesprochen, gesegnete Mahlzeit gewünscht und gegessen. Während des Essens erfolgten die üblichen Tellersammlungen: für die Musikanten und die »Köksche«, deren Hemd angeblich verbrannt ist. Dann begann das »Gabengeben«. Die Gäste traten vor den Brauttisch, gratulierten dem Brautpaar und legten Geld in einen auf einer Schüssel stehenden Teller. Die Brautjungfern kredenzten den Gratulanten ein Gläschen Alkoholisches. Bevor das Tanzen begann, wurden alle drei Strophen des Chorals »Nun danket alle Gott« gesungen. Danach räumte man Tische und Bänke weg und sorgte für Sitzgelegenheit an den Dielenseiten.
Den ersten Tanz (Ehrentanz) machten das Brautpaar und die Brautjungfern. Es war der »Knochentanz«; denn alle Hühnerknochen wurden während des Essens unter den Tisch auf die mit Saaldielen ausgelegte Tanzfläche geworfen. Nach diesem Tanz wurde der Saal gefegt, und der Tanz, stets nach den Klängen einer Blaskapelle, für alle begann und hielt bis zum nächsten Morgen an.
Die Theke hatte man im ausgeräumten Kuhstall hergerichtet. (In früheren Zeiten schwang man das Tanzbein auf der häuslichen Lehmdiele, die man mit Häcksel bestreute, um sie zu glätten.) Die letzten Gäste ließen sich mitunter »nach Hause blasen«. Kranke und Dorfgäste, die an der Hochzeit nicht teilnehmen konnten, bekamen eine Schüssel Hochzeitssuppe ins Haus gebracht. Am folgenden Sonntag hielt das junge Ehepaar Kirchgang. Nachmittags stellten sich geladene Verwandte und Nachbarn zur schlichten »Nachhochzeit« ein.
Seitdem es nach dem 2. Weltkrieg in Hymendorf im Gasthof »Zur Eiche« einen Saal gibt, werden dort die meisten Hochzeiten gefeiert, wobei es statt Hühnersuppe ein warmes Essen, Braten mit Kartoffeln und Gemüse gibt. Abends wird Kaffee getrunken, wozu Butterkuchen angeboten wird, und nachts gibt es Kaffee und belegtes Brot. Während der Hochzeitsfeler kann sich jeder kostenlos an Bier und Branntwein stärken; denn »orig een ut’n Buddel hört dorto«. Rauchwaren müssen dagegen an der Schenke bezahlt werden.
jubelhochzeiten
Silberne und goldene Hochzeiten werden gegenwärtig meistens im Gasthofsaal gefeiert und beginnen gegen 19 Uhr mit einem Posaunenblasen. Es folgt eine kirchliche Andacht. Während des Essenauftragens bläst der Chor noch einige Choräle und Volkslieder. Vor dem Essen spricht der Pastor ein Tischgebet und nach dem Essen ein Dankgebet. Dem Abräumen der Tafel folgt der Ehrentanz für das Jubelpaar, danach der Tanz für alle. Erwähnt sei als frühere besondere Einlage der »Kökschentanz«. Neuerdings stellt der Wirt das Bedienungspersonal. Um Mitternacht steht zur Stärkung für alle ein kaltes Büfett bereit.
Richtfest
Das Richten eines Neubaus gestaltete sich auch in Hymendorf zu einer besonderen Feier, dem sogenannten Richtfest. Es war ein besonderer Augenblick im Leben eines jeden Bauherrn, wenn sein Neubau durch den »gerichteten« Dachstuhl sich nun in voller Größe zeigte. Einige Tage vor dem Richtfest erging die Einladung des Bauherrn an die am Bau beteiligten Handwerker sowie an Nachbarn und Bekannte. Als Beisteuer zu der vom Bauherrn zu reichenden Mahlzeit wurden ihm Eier, Butter und Milch von den Nachbarn hingebracht.
Das Richten erfolgte unter Leitung des Zimmermeisters. Nach dem Richten wurde am Sparrenwerk ein Kranz, die Richtkrone, befestigt. Dann erklang nach altem Handwerksbrauch von oben herab mit lauter Stimme aus dem Munde des Zimmermeisters oder eines Gesellen an die unten lauschenden Zuhörer die »Richtrede«. AM Schluß seines »Zimmerspruchs« ließ der Redner den Bauherrn und seine Familie hochleben. Danach wurde eine Flasche Branntwein, aus welcher zuvor alle Zimmerer einen kräftigen Schluck genommen haben, zerschellt mit den Worten: »Wenn diese Flasche nicht zerbricht, so ist’s des Hauses Glück auch nicht. « Ein dem Redner bestimmtes Trinkgeld, vom Bauherrn in ein Taschentuch geknotet, wurde dem Kranze entnommen. Danach stiegen die Zimmerleute herunter und gratulierten mit sämtlichen Untenstehenden dem Bauherrn und seiner Ehefrau. Diese lud nun die Handwerker und alle, die beim Richten mitgeholfen haben, zum »Richtschmaus« im Nachbarhause ein. Nach dem festlichen Mahle gab es bei Bier und Branntwein für die Anwesenden noch mancherlei vergnügliche Unterhaltung.
Gegenwärtig findet das Richtfest nur vereinzelt in der früheren Sitte statt. Grund: Der Bauunternehmer übernimmt alles. Man ist nicht mehr auf Nachbarschaftshilfe angewiesen.
Spinnstuben
Seit vielen Jahrzehnten gibt es in Hymendorf die gute alte Zeit der Spinnstuben nicht mehr. Früher kamen die jungen Mädchen in den Wintermonaten, und zwar wenn es draußen dunkelte, abwechselnd in den Häusern mit ihren Spinnrädern zusammen und spannen um die Wette. Wurde das Spinnen unterbrochen, strickte man Strümpfe. Bei der Arbeit wurde froh geplaudert und viel gelacht. Abends stellten sich auch junge Burschen des Dorfes ein, die unter sich zunächst Karten spielten. Bald erklangen jedoch gemeinsam gesungene Volkslieder. In den Pausen wurden die Tagesneuigkeiten besprochen. Diese Zusammenkünfte nannte man in Hymendorf »Koppelgehen«. Man begann damit nach dem Neuenwalder HerbstMarkt, der alljährlich Ende Oktober stattfindet und seit jeher auch gern von den Hymendorfern besucht wird. Um diese Zeit fingen auch die gegenseitigen Besuchsabende der Verheirateten an, das sogenannte »Visitengehen«.
Neujahrssitten
Am Silvester- oder Altjahrsabend begeben sich manche junge Leute ins Wirtshaus, andere feiern privat unter sich ihre Silvesterparty. Die Verheirateten erwarten im eigenen Heim oder bei Verwandten den Beginn der Jahreswende. Beim 12. Glokkenschlag zur Mitternacht ertönt überall ein fröhliches »Prosit Neujahr Die jungen Leute bekommen vom Wirt jeder ein Glas Grog spendiert, verlassen danach bald das Lokal und wünschen bekannten Familien >Neujahr«, was meistens auch mit »Spendieren« belohnt wird. Freunde und Bekannte besuchen sich am Neujahrstage und wünschen einander Glück und Segen.
Der zwischen Weihnachten und Neujahr früher im Lande Wursten geübte Brauch des Sterntragens wurde auch hier getätigt. Damals war es auch Sitte, daß man sich als heilige drei Könige verkleidete und in Nachbarorten sang, was durch Überreichen von Gaben honoriert wurde. In der Chronik von Flögeln ist zu lesen: Vor Weihnachten kamen in alter Zeit Hymendorfer Kolonisten als heilige drei Könige
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verkleidet, sangen und baten um Gaben, da es ihnen anfangs wirtschaftlich schlecht ging.
Kinder gingen früher von Haus zu Haus und sagten Neujahrswünsche auf: Ick wünsch jo’n fröhlich neet Johr,
Gesundheit, langet Leben!
Nu möt ji mi ok wat geben. Oder:
Ick wünsch jo’n fröhlich neet Johr, lüttie Deern mit kruse Hoor,
lüttien jung mit scheebe Been,
de schöllt jo dat Geld verdeen’n.
Waren die Kinder mit Kuchen und dergleichen beschenkt, setzten sie ihren Weg zum Nachbarhause fort.
Pfingstgebräuche
Am Abend vor Pfingsten holen Junge Leute aus dem Drangstedter Wald eine hohe schlanke Fichte. Deren Einholen gestaltet sich seit jeher zu einer f eucht-fröhlichen Fahrt. Früher wurde der zuvor entästete Stamm mit großem Hallo auf einem mit Pferden bespannten Ackerwagen durchs Dorf nach der Jürgens’schen Wirtschaft gefahren, neuerdings mit einem Trecker zum Spritzenhaus. Die Wagenräder wurden mit Birken- oder Eichengrün umwickelt und die Pferde mit kleinen Sträußen und bunten Papierstreifen geschmückt.
Heute lädt die Freiwillige Feuerwehr zum Schmücken der Fichte ein. Der Stamm wird mit einer grünen Girlande umwickelt. junge Mädchen binden aus Tannengrün eine Krone und schmücken sie mit bunten Schleifen und Bändern. Die Krone wird mit einer Holzstange oben am Stamm befestigt, auf dessen Spitze ein aus Holz geschnitzter Hahn mit langem roten Band angebracht wird. Mit »Hau-ruck« und anderen Zurufen stellt man alsdann den Maibaum auf, dessen Standort eine hochgezogene Flagge von weitem anzeigt.
Nach getaner Arbeit wird im Spritzenhaus ein Faß Bier angezapft. In fröhlicher Runde sitzt man noch einige Stunden beisammen.
Üblich ist es, in den Wochen vor Pfingsten Haus und Hofraum gründlich zu säubern und die leeren Viehställe zu weißen („wittschern«). Am Pfingstsonnabend schmückt man das Haus außen und innen mit Malbusch (Birkenreisern). Früher pflanzten junge Leute in der Pfingstnacht in aller Stille vor den Häusern, in denen von ihnen verehrte junge Mädchen wohnten, kleine Maibäume. Der Posaunenchor bläst am Pfingstmorgen weithin schallende frohe Festweisen.
Zu einer richtigen Pfingstfeier gehört das Frühaufstehen. »Pingstbüdel« oder »Pingstroß« rief man früher in den Häusern, halb scherzend, halb verspöttelnd dem entgegen, der von der Familie am längsten im Bett lag.
Osterfeuer
Seit einigen Jahren wird in der Sandkuhle am Ostersonnabend bei Anbruch der Dunkelheit ein Osterfeuer abgebrannt. Alt und jung beteiligt sich daran. Auch für das leibliche Wohl wird gesorgt. Voraus geht ein vergnügliches Ostereiersuchen der Kinder.
Laternenumzug
Neuerdings veranstaltet man im Herbst, und zwar Ende September, einen von einem auswärtigen Musikzug angeführten Laternenumzug der Kinder. Allen Teilnehmern macht es viel Spaß. Die organisatorische Leitung übernehmen, wie auch beim Osterfeuer, Ortsrat, Freiwillige Feuerwehr, Sportverein sowie der Schützenverein.