Beispiel für einen Meyerbrief in Hymendorf
Jeder Anbauer erhielt nach Ablauf seines ersten Siedlerjahres einen von der Behörde ausgestellten Meyerbrief über die Stellenverleihung. Dies war seinerzeit der Regelfall. Schon vorher hatte der Neusiedler sich durch eigenhändige Unterschrift mit dem Inhalt dieses Schriftstückes einverstanden erklärt.
Der Meyerbrief regelt das Rechtsverhältnis zwischen dem Grundherrn und dem Siedler, ist also eine Art Pachtvertrag, der den Rechtszustand gesetzlich festlegt. Die Hymendorfer Kolonisten waren also nur Meyer (Pächter). Sie waren mit der Anbaustelle bemeyert und standen mit ihrem Grundherrn, dem Fiskus (Staat), in einem Meyerverhältnis, waren also herrschaftliche Meyer.
Der Meyerbrief kostete 1 Taler. Der Meyer verpflichtete sich zu sorgfältiger Bewirtschaftung seiner Anbaustelle. Er durfte nichts davon versetzen, verpfänden oder veräußern und mußte seinen Verpflichtungen pünktlich nachkommen. Widrigenfalls ging er des Meyerrechts verlustig, d. h. er wurde »abgemeyert« und mußte die Stelle verlassen. Die nach Ablauf der Freijahre zu zahlenden Meyerzinsen und sonstigen Abgaben sind im Meyerbrief genauestens angegeben.
Die Hymendorfer Anbaustellen werden in den Meyerbriefen sämtlich als Halbbaustellen ausgewiesen, d. h. ihre Inhaber sind Halbhöfner, bewirtschaften also Moorland in Größe von 60 Morgen. Diese Kategorisierung erfolgte nach einer Bestimmung der Königlichen Cammer vom 2. Februar 1785, wonach in allen Moorkolonien die Anbaustellen nach ihrer Größe einzustufen sind. Danach werden die Besitzer wie folgt bezeichnet:
Brinkköthner bewirtschaften unter 10 Morgen Moorland, Sechstelhöfner bewirtschaften 10 bis 40 Morgen Moorland, Drittelhöfner bewirtschaften 40 bis 60 Morgen Moorland, Halbhöfner bewirtschaften 60 bis 80 Morgen Moorland.
MEYERBRIEF
für
Casper Inselmann
über
die Anbau‑Stelle Nr. 3
zu Hymendorff,
Amts Bederkesa,
1830.
Nachdem bei Anlage der Colonie Hymendorff, Amts Bederkesa, dein Casper Inselmann auf sein Ansuchen eine Halbbaustelle von etwa sechzig Morgen Moorland verliehen worden, so wird ihm solche hiemit gegen Erlegung eines für dieses Mal zu Einem Rthlr. erlassenen Weinkaufs meyerrechtlich dergestalt eingegeben, daß er von derselben alljährlich an Meyerzinse den Wert von
Fünf Himpten Zwei Spint Rocken neu BraunschweigsterMaaße in Gelde entrichte, und wie dieser Werth von 30 zu 30 Jahren nach dem Durchschnittspreise bestimmt werden soll, so ist solcher für die ersten, vom 1 sten Juli 1829 anzurechnenden 30 Jahre mit Fünf Rthlr. Zwölf Gutegroschen in grober Conventions‑Münze festgesetzt.
Es soll jedoch gedachter Colon einer völligen Befreiung von dieser Abgabe auf die ersten zehn Jahre, also vom 1 sten Juli 1829 bis dahin 1839 sich zu erfreuen haben und teilweise ihm selbige auch bis zu Ablaufe der ersten, auf diese Periode folgenden 20 Jahre annoch dergestalt angedeihen, daß derselbe vom 1 sten Juli 1839 an bis dahin 1859 alljährlich nicht mehr wie vier Rthlr. sechs Gutegroschen grober Conventions‑Münze und zwar in den beiden Terminen, 1 sten November und 1sten April, jedesmal zur Hälfte an die Bellten Bederkesa zu entrichten hat. Ebenfalls hat derselbe nach Ablauf der ersten 20 Jahre statt des für immer erlassenen Natural‑Frucht‑Zehntens, von jedem durch Düngung zur Ackerkultur in Stand gesetzten Calenberger Morgen ‑ nicht aber vom Brandkorne ‑ ein ständiges Zehntgeld von sechs Gutegroschen Conventions‑Münze mit dem ersten Zins‑Zahlungstermine an die Rentei dieses Amts zu erlegen, auch wird der Zehnten von Bienen nach Ablauf der ersten vom 1 sten Juli 1829 anzurechnenden Zwanzig Jahre vorbehalten.
Außerdem aber ist gedachter Casper Inselmann verpflichtet, alle nach dem Steuer‑Gesetzen oder sonst zu entrichtenden Grund‑ und persönlichen Abgaben und andere öffentliche und Gemeinde‑Lasten ohne Vergütung abzutragen und zu übernehmen.
Dahingegen sollen er und seine Frau diese Baustelle mit allein Zubehör zu ihrer beiderseits Besten gebrauchen, flocken und fleußen können; muß aber Alles wie ein guter Hauswirth nutzen, daher namentlich sich die Vorschriften wegen des Holzanzuges, und etwa allgemein eingeführet werdender, erprobter Culturmethoden zur Richtschnur dienen lassen und sich des übermäßigen, einen nachhaltigen Ertrag vereitelnden Brennens enthalten, auch keinen abgegrabenen Torf wiederum in die Kuhlen zurückwerfen, vielmehr die Möre nach ihrer verschiedenen Bestimmung, zum Torfstiche, Saat‑, Weide‑ oder Wiesen‑Länderei fleißig bearbeiten, und die daran gehörenden Brücken, Wege, Schleusen, Wasserleitungsund Befriedigungsgraben in gebührendem Stand bringen und darin unterhalten, außerdem aber bei Verlust des Meyerrechts nichts davon versetzen, verpfänden oder veräußern.
Wenn nun obgedachter Casper Inselmann diesem Allem so getreulich, als ihm oblieget, nachkommen wird, so soll er nebst seiner Frau bei dem Meyerrechte geschützet und vertreten, ihre ehelichen Kinder auch, insoweit sie dazu tüchtig sind, und praestanda zu prästiren vermögen, gegen Erlegung eines principlenmäßigen Weinkaufs, nach diesen die nächsten, widrigenfalls aber des Meyerrechts verlustig seyn.
Zu Urkund dessen ist dieser Meyerbrief bis auf Königl. Landdrostel‑Ratification ausgefertiget, und mit der zeitigen Beamten‑Unterschrift und Amts‑Siegel bekräftiget.
So geschehen Bederkesa, am 15sten Juny 1830
Königl. Großbrit.‑Hannoversches Amt
Meyer Wchncr G. Meyer
Nachdem Königliche Großbritannisch‑Hannoversche Landdrostei um Ratificirung gegenwärtigen Meyerbriefes geziemend ersuchet worden, und sich dann findet, daß St. Königl. Majestät, Unsers allergnädigsten Herrn Interesse gebührend dabei beobachtet ist, so wird dieselbe hiemit und in Kraft dieses unter dem Königlichen Landdrostei‑Siegel und gewöhnlicher Unterschrift hiemit bestätiget.
Stade, den 23ten July 1830
Königl. Großbritannisch‑Hannoversche Landdrostei
Haltermann
Erläuterungen:
Natural‑Frucht‑Zehnt, Zehntgeld = Abgabe, ursprüngliche Bezeichnung für eine Abgabe des Naturalzehnten.
Wert von 5 Himpten 2 Spint Roggen = Das Gewicht eines Himptens Roggen betrug etwas mehr als 20 kg, das eines Spints oder einer Metze rund 5 kg. *) Mithin hatte die Abgabe den Wert von rund 110 kg Roggen. ‑ Die Getreidernaße Malter, Himpten und Metze waren bis zum Jahre 1875 in Gebrauch und wurden erst dann durch das hunderttellige Maß‑ und Gewichtssystem abgelöst.
praestanda = pflichtmäßige Leistungen, Abgaben (lat.).
praestieren = leisten, für etwas haften.
flocken und fleußen = das Recht haben, Nutzen zu ziehen.
Weinkauf = Bei der Ausweisung einer Anbaustelle, desgl. bei jeder Neuverleihung des Moores an die Erben des bisherigen Inhabers oder an andere mußte vom Grundherrn die Genehmigung eingeholt werden. Grundherr für die Hymendorfer war die Kgl. Hannoversche Domänenkammer (ein Kollegium der hannoverschen Staatsverwaltung), vertreten durch das Amt Bederkesa. Für die Ausstellung des neuen Meyer‑ oder Weinkaufbriefes war das Weinkaufsgeld, eine Antrittsabgabe, zu zahlen. Die Höhe des Weinkaufs war unterschiedlich und richtete sich nach dein Verhältnis des neuen Meyers zu seinem Vorgänger und nach der Beschaffenheit und Größe der Hofstelle. Die meyerrechtlich ausgegebene Anbaustelle der Moorkolonisten war nicht erblich. Sie mußte dem Erben des Inhabers neu eingetan und neu beweinkauft werden. Wurde z. B, in Hymendorf die Anbaustelle an den Sohn oder wegen plötzlichen Ablebens des bisherigen Kolonisten auf Ansuchen dessen Bruder übergeben, so mußte dieser sich vom Amt unter Zahlung einer im Meyerbrief angegebenen Geldsumme das »Weinkaufs‑ oder Meyerrecht« erwerben. Ein über diesen Vorgang ausgestelltes Schriftstück sei hiermit abgedruckt:
Cassirt zum eingehefteten Melerbriefe
für Jürgen Ropers, Nr. 33 zu Hymendorf
Amt Bederkesa, den 7ten April 1857.
Die Bemelerungskosten sind mit 6 Rthlr. 9 Ggr. 9 Pfg. berichtigt.
Bederkesa, den 25ten April 1857.
- H. Wilkens.
Demnach die dem Amte Bederkesa zuständige, in der Colonie Hymendorf belegene Halbbaustelle Nr. 33 von etwa 60 Morgen Moorland inkl. des GebäudeGrundes durch Ableben des bisherigen Coloni
Hinrich Ropers
erlediget und zur Königl. Domainen‑Cammer freien Disposition (= Verfügung) anheimgefallen, so ist auf Ansuchen dessen Bruders
Jürgen Ropers
demselben solche gegen Erlegung eines zu Vier Thaler 8 Ggr. 10 Pfg. behandelten
Weinkaufs hinwieder zum Meyer‑Recht eingethan, also und dergestalt, daß er die
im Register aufgeführten Meyer‑Abgiften, nämlich den Werth von fünf Himpten 2 Spint Rocken Hannoverscher Maaße nach einem von 30 zu 30 Jahren zu regulierenden Durchschnittspreise entrichte, wobei bemerkt wird, daß solcher für die ersten vom Iten Juli 1829 anzurechnenden 30 Jahre zwar zu Rthlr. 12 Ggr. Conventions‑Münze oder 5 Rthlr. 15 Ggr. 8 Pfg. Courant festgesetzt, jedoch bestimmt ist, daß er bis zum Iten Juli 1859 jährlich nicht mehr wie 4 Rthlr. 8 Ggr. ConventionsMünze oder 4 Rthlr. 8 Ggr. 10 Pfg. Courant am Iten November und Iten April jedesmal zur Hälfte an die Amts‑Casse Bederkesa zu rechter gewöhnlicher Zeit richtig und ohnweigerlich abtragen und bezahlen solle.
Ebenfalls hat derselbe nach Ablauf der ersten 20 Jahre, statt des für immer erlassenen Natural‑Frucht‑Zehntens, von jedem durch Düngung zur Akkerkultur in Stand gesetzten Calenberger Morgen, nicht aber vom Brandkorne, ein ständiges Zehntgeld von 6 Ggr. Conventions‑Münze mit dem ersten Zins‑Zahlungstermine an die Amts‑Casse dieses Amtes zu erlegen, auch wird der Zehnten von Bienen nach Ablauf der ersten vom Iten Juli 1829 anzurechnenden Zwanzig Jahre vorbehalten.
Nicht weniger auch lieget ihm ob, die überdein auf der Stelle haftenden Onera (Lasten) nach wie vor abzuhalten, dahingegen derselbe und seine Frau dieselbe mit aller Zubehör und Gerechtigkeit an Ländereien und Holzungen, Triften, Wiesen und Weiden, und zwar so, wie solche Hinrich Ropers sein Vorwirth inne gehabt und besessen, zu ihrer beiderseitigen Besten genießen, gebrauchen, flocken und fleußen möge, davon aber nichts, bei Verlust des Meyer‑Rechts, versetzen, noch verpfänden, und da solches von seinen Antecessoren (Vorgängern) geschehen, nach Möglichkeit wieder herbeibringen, oder da er es selbst nicht zu thun vermag, es dem Amte anzeigen, sich auch allentlialben getreu und gehorsam, als einen redlichen Colono eignet und gebühret, erweisen solle. Wenn nun oben genannten
Jürgen Ropers diesem allen so fleißig und treulich, als ihm oblieget, nachkommen wird, so soll er nebst seiner Frau, bei dem Meyer‑Recht geschützet und vertreten, ihre ehelichen Kinder auch, wann sie Prestanda prästiren wollen, gegen Erlegung eines gebührlichen Weinkaufs, nach diesem vor Andern die Nähesten dazu, widrigenfalls aber des Meyer‑Rechts verlustig sein.
Zu dessen Urkund ist dieser Meyer‑Brief ertheilet, und mit Unserer eigenhändigen Unterschrift und vorgedrucktem Amts‑Siegel bekräftigt.
So geschehen Bederkesa, den 7ten April 1857.
Königlich‑Hannoversches Amt