Hymendorfer Torf, einst die »Kohle des Hymenmoores
Torfgraben ‑ Torfbereitung ‑ Backtorf ‑ Torfabsatz
Torfgewinnung war früher Haupterwerbszweig der Hymendorfer Moorkolonisten. Der seinerzeit als Heizmaterial in Norddeutschland unentbehrliche Torf brachte den Moorsiedlern das bare Geld. Der klingende Erlös stand Jedoch kaum im Verhältnis zu der schweren Arbeit. Der Bedarf an Torf als Brennstoff war, als man weder Koks‑, Elektro‑, Gas‑ noch Ölheizung kannte, sehr groß. Wohl kannte man Kohle, die jedoch wegen zu hoher Transportkosten zu teuer war, und Holz gab es nicht in ausreichender Menge. Die meisten Privatleute unserer Gegend, aber auch Schulen, Bäckereien und Ziegeleien, sogar das nahe dem alten Leher Krankenhaus gelegene Altersheim waren auf Torf als einziges Feuerungsmaterial angewiesen.
Man unterscheidet leichten (hellen) und schweren (schwarzen) Torf. Den leichten, den die oberen Moorschichten liefern, verwendete man durchweg zum Anmachen des Feuers, dagegen den tiefersitzenden schweren, dessen Wert und Preis höher lag, zum Heizen. Die ersten Siedler konnten anfangs nur leichten Torf graben. Hauptabnehmer waren die Ziegeleien. Das änderte sich, als das Moor besser entwässert wurde. Nun konnte man auch schwarzen Torf graben. Man begann damit im Mal nach Erledigung der Frühjahrsbestellung. Wochenlang dauerte die Zeit des Torfgrabens.
Zuerst wird die anzulegende Torfkuhle nach Länge und Breite begrenzt. Dann erfolgt das Abbringen der nicht brauchbaren Oberschicht. Mit einem gewöhnlichen Spaten (Escher, Groffel) räumt man die oberste Heide‑ und Moorschicht ab und wirft sie in die vom Vorjahr her nicht zugeworfene Torfgrube, um diese auszufüllen. Nun hat man die abzustechende Torfschicht erreicht. Man glättet sie mit einer Schaufel und markiert die Sodenlänge (Bankbreite) durch eine an zwei Pflöcken befestigte Schnur, die der Gräber mit dem Holzschuh in den weichen Boden drückt. Allgemein üblich ist es, die Kuhle 60 Soden breit und 16 Soden (= vier Spidd) tief anzulegen. Die Soden sind länglich rechteckige Stücke, regelmäßig geformte Prismen (Quadratsäulen).
Die Technik des Torfgrabens ist einfach, und doch will das Stechen gelernt sein. Zu den messerscharfen Arbeitsgeräten gehören zwei verschiedene Spaten, der schmale Einschneider (im Ortswappen) und der breite Hinterschneider, ferner eine leichte Auswurfschaufel. Plattdeutsch heißen diese Geräte Insnider, Achterlangssnider und Spedelschüpp, auch Spiddelschüpp genannt. Eine vollständige Torfgeschirrsammlung, zum Teil in Hymendorf erworben, können Interessierte in Artur Burmeisters Kellermuseum in Debstedt besichtigen.
Mit dem Hinterschneider beginnt die kräfteverzehrende Hauptarbeit des Torfgräbers. Oben auf der Torfschicht in extra angefertigten breiteren und platten Holzschuhen, den »Brettholschen«, stehend, schneidet er mit geübtem Griff und Stich zunächst längs der Schnur tief an der Bank entlang. Dadurch wird die Sodenlänge bestimmt. Nun begibt sich der Gräber in die Kuhle, steht vor der Bank und schneidet mit dem Insnider zunächst bis zur Bankmitte senkrecht und waagerecht die Soden in gleicher Größe zurecht. Dann hebt er mit der leichten hölzernen Spedelschüpp, an der vorn eine konisch zulaufende messerscharfe Eisenschneide angebracht ist, ein Klick (= 4 Soden, je 2 oben und unten) nach dem anderen aus der Bank heraus und legt sie mit geübtem Schwung auf ein am oberen Kuhlenrand liegendes Brett, Klickbrett genannt. Zum Ausheben des untersten Klicks benutzt man jedoch die Schaufel, weil sie langstieliger als die Spedelschüpp ist und das Bücken erleichtert.
Hier seien einige plattdeutsche Ausdrücke vermerkt: »Veer Soden is’n Klick« »De Soden komt klickwies opp’t Klickbrett« ‑ »De Törfkuhl is veer Klick deep«.
Am Kuhlenrand steht schon der Mitarbeiter als Ausschieber bereit. Dessen fleißigen Hände packen die Klicks und legen sie auf die Karre oder auf den bereitstehenden Wagen einer anfangs auf Holz‑, später auf Eisenschlenen fahrenden Lorenbahn. Nun rollt die Last auf den Trockenplatz, wo regelmäßig sechs auseinander gelegte Soden gestapelt werden: zwei längs, darüber zwei quer und darüber nochmals zwei längs. Die Arbeit des Ausschiebens verrichtet zuweilen auch die Frau des Kolonisten. Man erkennt sie von weitem an ihrer Kopfbedeckung, der im Winde flatternden Haube, in Hymendorf »Weihkapp« genannt, die man aus leichter Pappe und weißem Tuch mit blauen Punkten selbst anfertigte.
Vor Feierabend wird noch ein Teil der nicht brauchbaren Oberschicht in die Kuhle geworfen, um ein Einschießen des seitlichen Kuhlenrandes zu verhindern. Außerdem wird in einer Kuhlenecke ein Wasserloch, bei nasser Witterung sogar eine kleine Grüppe, ausgehoben. Das sich hierin nachts ansammelnde Wasser mußte man am nächsten Morgen »utdüppen« (ausschöpfen). Wichtig war es auch, einem seitlichen Wasserzuzug vorzubeugen. Der Gräber ließ daher eine etwa 30 cm breite Torfwand stehen, vor der sich dann das Wasser staute. Haben Wind und Sonnenstrahlen die Soden oben und seitlich getrocknet, werden sie umgesetzt, was meistens Frauen und Kinder besorgen. Sobald die Sonne alle Soden knochentrokken gemacht hat, werden sie in großen Haufen kunstgerecht aufgeschichtet, von wo aus zu gegebener Zeit die Abfuhr erfolgt.
Ein nasser Sommer bringt erhebliche Mehrarbeit. Dann müssen die Soden zusätzlich geringelt werden. Hierbei steht der Torf zum Trocknen in kegelförmigen, etwa ein Meter hoch aufgetürmten Haufen, die gut winddurchlässig sind und im Herbst in gut brennbarem Zustand eingefahren werden. Bei schlechtem Trockenwetter setzt man die Soden auch in Schoben. Das sind schmale, aufgeschichtete Haufen (10 Soden hoch und 1 ½ Soden breit).
Neben Stichtorf gibt es in Hymendorf auf einigen Siedlerstellen auch Backtorf. Er sitzt tief unten. Man bereitet ihn, wenn der Torf so bröckelig ist, daß man ihn nicht mehr schneiden kann. Der Gräber sticht die untere Torfmasse, die besonders geil oder fett ist, mit dem Spetje, einem besonderen Spaten (im Lande Wursten dient er zum Kleigraben) los und hebt sie auf den Wagen der Schienenbahn. Der Spetie ist ein leichter Holzspaten, dessen teils mit Eisenblech verstärktes Blatt vorn mit einer etwas breiteren eisernen Schneide versehen ist. Auf dem völlig ebenen Trockenplatz wird der moorige Brei mit Forken auseinandergebreitet und mit der mageren, vorher abgegrabenen Moorschicht, die vielfach mit Luk (Wollgrastorf) durchsetzt ist, vermengt. Dadurch verhindert man das Bröckeln des Torfs.
Der moorige Brei wird durch Treten und Stampfen mit breiten Holzschuhen (seltener mit bloßen Füßen, weil das Moor zu kalt ist) zu einem festen Teig, einer Art Backmasse, geknetet, danach mit einer besonderen Schaufel, einer Art Schieber, dem »Strieker«, geglättet und wie eine Kuchenplatte geebnet. Man achtet darauf, daß der Backtorfbrei genau die Höhe der Lorenbahnschlene hat, also etwa ½ Fuß hoch ist. Nach Ablauf einer Reihe von Tagen schneidet man die Masse mit einem scharfen Torfmesser senkrecht und waagerecht sodenförmig zurecht, so wie Hausfrauen Butterkuchen. in handliche Stücke schneiden. Haben Sonne und Wind als treue Verbündete die Oberschicht getrocknet, erfolgt das Wenden der Soden, der »halbgaren Kuchenstücke«, damit auch deren Unterseite trocknen kann. Nach einer vom Wetter abhängigen Zeit folgt das Aufschichten von zwei oder drei Sodenreihen, wodurch der Trocknungsvorgang beschleunigt wird. Weiteres Umsetzen und, falls erforderlich, das Legen der Soden zu kegelförmigen Torfringen beenden den Trockenprozeß und machen sämtliche inzwischen völlig hart gewordenen Backtorfsoden verkaufsfertig.
Die Backtorfbereitung erfordert bedeutend mehr Mühe und Zeit. Zumeist ist der Back ‚ torf, an Helzkraft f ast der Steinkohle nahekommend, besser als der Stichtorf. Dies war den Hymendorfern bekannt und fand bei der Feuerungsbelieferung der dorfeigenen Schule und Kapelle stets Berücksichtigung. jeder Hof hatte jährlich unentgeltlich entweder 9 Körbe leichten Torf oder Körbe Stichtorf oder 5 Körbe Backtorf zu liefern. Bei der Anlieferung war stets ein Schulvorsteher anwesend, der alles genau kontrollierte und registrierte. ‑ Die in jahrelanger mühseliger Arbeit abgetorften Flächen kultivierte man inzwischen zu Grünland und nutzte sie für die Viehwirtschaft. Das einst braunschwarze Moor wurde grün, aus einer der letzten Urlandschaften Kulturland, Nutzland.
Nach der Kartoffelernte begann der Torfabsatz. Fast täglich fuhr man nach Lehe und Bremerhaven, wo die meisten Kunden wohnten und die den begehrten Hyinendorfer Torf sehr zu schätzen wußten. Hin‑ und Rückfahrt mit dem Pferdegespann und den beiden mit je 30 Hektolitern beladenen Ackerwagen beanspruchten ) . e drei Stunden, ein enormer Zeitaufwand! Nach dem Verkauf suchte man in Lehes Lange Straße Nr. 35 Inselmanns Gaststätte auf, dessen Fußboden wie in Hymendorf mit Sand bestreut war. Der gemütliche Wirt Christian Inselmann stand hinter der Theke und begrüßte seine Stammgäste mit freundlichem Wort und Blick. Sein Arbeitsmann Hinrich Finck hielt sich in der Scheune auf, in der Platz für 40 Pferde war. Hinnerk spannte die Pferde aus. Bei ihm waren die Gäule bestens aufgehoben. Er versorgte sie mit Häcksel und Hafer, von den Bauern mitgebracht. Bei Inselmann fühlten sich die Hymendorfer wie zu Hause. Mancher plattdütsche Klönsnack wurde miteinander getan, und die einstündige Rast‑ und Kaffeepause verging wie im Fluge.
1924 kostete ein Fuder Torf 12 Mark. Die Tageseinnahme für zwei Fuder betrug 24 Mark. Einige Anbauern belieferten Bremerhavener Stammkunden auch mit Torfstreu.
Stets dankbare Abnehmer des Hymendorfer Torfs waren auch viele Wurster, besonders aus Süd‑Land Wursten. Sie holten sich den Torf mit eigenen Gespannen. Ihre großen Ackerwagen hatten ein Fassungsvermögen von je 60 Hektolitern Torf. jeder Hymendorfer hatte seine festen Wurster Kunden.
Wegen der neuzeitlichen Feuerungsanlagen in Stadt und Land wurde das Absatzgebiet für Torf immer geringer. Gegenwärtig hat der Torfabbau auf Erwerb völlig aufgehört. Die mit der braunschwarzen Produktion beladenen Fuhren gehören der Vergangenheit an, und die mühsame und zeitraubende Torfgewinnung für den Eigenbedarf wird nur noch von wenigen getätigt. In den feuerungsknappen Nachkriegsjahren lebte das Tropfgraben jedoch wieder auf. Damals bot unser so stilles Dorf während des ganzen Sommers ein sehr belebtes Bild. Infolge der großen Kohlenknappheit kamen viele auswärtige Familien, sogar Belegschaften einiger Betriebe zu Fuß, per Rad oder mit Lastwagen aus Bremerhaven und dem Lande
Wursten, um hier durch eigenes Torfstechen ihren Winterbedarf an Brenntorf zu gewinnen. Diese Zeiten sind vorbei, »So ännert sick de Tiden,<, lautet allgemein der Kommentar der Hymendorfer, »un wi hebbt ok keen Tid mehr to’n Törfgroben. « Niemand weiß ) . edoch, ob und wann eine krisenfeste Brennstoffversorgung mit Torf mal wieder vonnöten sein wird.
Abschließend sei hier der Satz eines wohlhabenden Wurster Bauern abgedruckt, den er im Jahre 1904 in sein Tagebuch schrieb: »Wenn an unse dicken Grashalms Daudroppen hangen dot, dann sind dat in Hemendörp Sweetdroppen, so möt de Lüd dor arbei´n ick heff dat süllbens sehn. « – Nun, das heutige Hymendorf hat die härteste und schwerste Zeit seit langem hinter sich.